Die naheliegenden Wortspiele ("Sternstunde", "nach den Sternen greifen") spare ich mir hier mal. Tatsächlich hieß die Earth Band ursprünglich so, weil Manfred Mann und Mick Rogers erdige Rockmusik machen wollten. Bei der geballten musikalischen Power auch keine schlechte Idee, aber der Experimentiergeist der Siebziger und die vorhandenen Fähigkeiten führten zu einer rasanten Entwicklung in Richtung Progressive Rock. "Solar Fire" markiert den Höhepunkt dieser Entwicklung und damit auch den Höhepunkt der Rogers-Ära. Eigentlich sollte "Solar Fire" das Konzept der vorangegangenen Hitsingle "Joybringer" fortsetzen. Der Song basierte nämlich auf dem Jupiter-Thema aus der "Planeten"-Suite von Gustav Holst. Doch während die MMEB dafür noch die Erlaubnis bekommen hatte, hatten die Erben Holsts wohl etwas gegen eine Komplett-Adaption. Das Ergebnis war, dass Manfred, Rogers, Colin Pattenden und Chris Slade selbst eine Reihe von "kosmischen" Songs schrieben und das locker-flockige "Joybringer" nicht auf das Album nahmenDas Album wird aber vor allem von einem Song definiert: "Father of Day, Father of Night". Das vierte MMEB-Album, das vierte Dylan-Cover. Aber diesmal lehnen sich Mann & Co. viel weiter aus dem Fenster: Aus einem einminütigen Song wird ein zehnminütiges Prog-Monument. Ein langes, leises Chor-Intro versetzt den Hörer zunächst in eine besinnliche Stimmung, bevor dann völlig urplötzlich die Band mit lauten Getöse hineinplatzt. Gitarren, Becken und wildes Klavier: was für ein Auftakt! Aus den Dissonanzen schält sich eine Orgel heraus, die dann den eigentlichen Song einleitet. Ein Mellotron stellt das sakrale, unvergessliche Hauptmotiv vor, bevor Mick Rogers erfreulich unprätentiös zu singen anfängt. Hymnisch und beeindruckend. Dass "Father of Day" während seiner über neun Minuten Spielzeit trotz des getragenen Tempos nie langweilig wird, liegt daran, dass Manfred Mann und Mick Rogers sich jede Menge interessante Wendungen ausgedacht haben, die das Ganze immer spannend bleiben lassen. Erster Einschnitt ist das fast zwei Minuten lange Gitarrensolo (3:38 - 5:24), bei dem Mick Rogers, angefangen mit einem Flüstern, sich immer mehr steigert und die Intensität in ungeahnte Höhen schraubt. Dieses Solo klingt größer als das Universum! Dann auf einmal schräge, verstörende Wendungen mit immer riesigeren Mellotron-Chören und eine abgewandelte Variante des Hauptthemas - und genau im richtigen Moment bricht die bombastische Soundkulisse weg und die Hardrockband zeigt wieder ihr Gesicht mit Gitarrenbreaks und fetter Hammond-Orgel. Es folgen rückwärts abgespielte Klavierspuren, schöne Frage-Antwort-Spielchen zwischen Rogers' Stimme und dem "überirdischen" Chor. Erst nach über acht Minuten lässt Manfred Mann dann endlich den Synthesizer sprechen und den Hörer staunen - wie man dieses Instrument so ausdrucksstark spielen kann! "Father of Day, Father of Night" ist schlicht unbegreiflich. Dass dieser Song den Rest des Albums in den Schatten stellt, ist kaum überraschend. Doch auch wenn die folgenden Songs nicht den Klassikerstatus des Openers erreichen, bieten doch auch sie jede Menge tolle Momente."Pluto the Dog" ist ein Scherz, ein Stück, das die Ernsthaftigkeit der anderen Stücke ironisch bricht. Auf einem abgehackten Rhythmus soliert Mann mit höchst seltsamem Sound, während immer wieder ein Hund hineinbellt. Aber selbst eine solche Witznummer klingt hier, anders als Vergleichbares wie etwa "Seamus" von Pink Floyd, ganz ordentlich."Solar Fire", der Titelsong im 7/4-Takt, ist wieder ernsthafter angelegt. Das Raumschiff von "In the Beginning, Darkness" kehrt hier zurück. Schön auch das ominöse Orgelmotiv zu Beginn. Insgesamt mir aber ein wenig zu psychedelisch-dröhnend.
"Saturn, Lord of the Ring" (man beachte das Wortspiel…) ist strukturell gar nicht so weit weg von den beiden "Messin'"-Instrumentals: Langsam, getragen, auf einer abgewandelten Bluesform aufgebaut. Mächtig dröhnt es da mit lauten Gitarren. "Mercury, The Winged Messenger" geht dann aber nach sphärisch-spacigem Intro heftig nach vorne und stellt eine neue Form von MMEB-Instrumental vor: Wild, halsbrecherisch, völlig irre rast die Band in Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum, manövrierend zwischen Gitarre/Moog-Duellen und messerscharfen Unisono-Parts. Das ist beeindruckende Virtuosität. Beim Schluss kippt man aus den Latschen.
"Earth, the Circle Part 2" setzt die Dissonanzen fort, stellt aber eigentlich nur ein Sprungbrett für weitere instrumentale Exkursionen dar. Auffällig hier die heimlichen Tempowechsel, Colin Pattendens prägnanter Bass und die chromatischen Abstiege. "Earth, the Circle Part 1" besteht zunächst nur aus wieder chromatisch absteigendem Klavier mit wässrigem Mellotron als Glasur obendrauf, bevor Mann selbst zunächst (gewöhnungsbedürftig) singt und dann den Moog jaulen lässt. In der Mitte kommt dann erst eine Orgel dazu, bevor die Band wieder loslegt und einen hypnotischen Shuffle-Groove vorlegt. Interessant.
1.Father of Day, Father of Night 9:52
2.In the Beginning, Darkness 5:19
3.Pluto the Dog 2:45
Seite 2:
1.Solar Fire 5:13
2.Saturn, Lord of the Ring/Mercury, the Winged Messenger 6:31
3.Earth, The Circle Part 2 3:20
4.Earth, The Circle Part 1 3:47